Angst vor der alternden Ein-Mann-Firma?

Darf man sich heutzutage noch darauf einlassen, wichtige Geschäftsprogramme von einem „Einzelkämpfer“ wie mir entwickeln zu lassen? Wie hoch ist das Risiko, dass kostspielige und langwierige Projekte aufgrund mangelnder Kontinuität scheitern? Was kann man tun, um das Risiko zu minimieren und die Pflege / Weiterentwicklung auch im Fall des Falles und somit letztlich die getätigte Investition zu sichern?

Mit Anfang Fünfzig bin ich kein junger Mann mehr, speziell in der Softwarebranche. Insbesondere jüngere potentielle Auftraggeber:innen müssen sich fragen, ob ich a) technologisch überhaupt noch halbwegs auf dem Laufenden bin ( „Nein, ich entwickle nicht in COBOL oder FORTRAN. Ja, ich weiß wirklich sehr gut, was objektorientierte Programmierung ist und arbeite auch nach agilen Prinzipien.“) und b) überhaupt noch ausreichend lange und intensiv zur Verfügung stehen werde, um anspruchsvolle Projekte zu realisieren. Ich weiß genau, dass das so läuft, denn mit Ende Zwanzig/Anfang Dreißig habe ich selbst manchmal Vorbehalte in Bewerbungsgesprächen mit Arbeit suchenden Programmierern (damals tatsächlich nur Herren) gehabt, die in etwa so alt gewesen sein müssen wie ich jetzt. Im Nachhinein tut mir das wirklich sehr Leid und ich bekenne mich schuldig in Sachen Altersdiskriminierung.

Nicht das Alter ist das Problem, sondern die Begeisterungsfähigkeit

Inzwischen bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass Stillstände in der fachlichen und persönlichen Entwicklung fast nie alters- sondern vor allem bequemlichkeitsbedingt sind. Wer in unserer Branche die Neugier, die Begeisterung verliert und – egal in welchem Alter – nicht mehr ständig auf der Suche nach neuen, besseren Ideen, Methoden und Werkzeugen ist, hat es nicht leicht. Ob mit 20, 40 oder 60: Nur durch Neugier und Begeisterung schaffen wir es, immer noch ein bißchen mehr zu geben und den entscheidenden Schritt weiter zu gehen.

Nicht so einfach ist es, die Risikofrage zu beantworten. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Unfälle, längere Erkrankungen und plötzliche Todesfälle oder Insolvenz bei nur einer einzigen am Projekt beteiligten Person besonders schwer ins Gewicht fallen. Das kann man nicht schönreden. Wir Solo-Entwickler:innen dürfen uns deshalb nicht vor der Beschäftigung mit diesen unangenehmen Themen drücken, sondern müssen gemeinsam mit unseren Auftraggeber:innen bewusste und verantwortete Entscheidungen treffen, um das Risiko so gut wie möglich einzuschätzen und aufzufangen.

Welche Projekte eignen sich für Solo-Selbständige?

Projektumfang und strategische Bedeutung einer zu entwickelnden Software können hier brauchbare Kriterien darstellen. Wenn sich abzeichnet, dass ein Projekt mehr als 150-200 Personentage Aufwand (also knapp ein Jahr) umfasst, braucht man meiner Einschätzung nach auf jeden Fall mindestens zwei, besser drei Entwickler:innen – selbst wenn man ausreichend Zeit für die Entwicklung hat. In diesem Szenario macht es Sinn, mehrere selbständige Software-Profis zu einem agilen „Taskforce“-Team zusammenzustellen oder eine größere Softwarefirma bzw. ein Systemhaus zu beauftragen, das alles aus einer Hand liefert und organisiert. Das funktioniert sonst nicht. Bei kleineren Projekten bis ca. 100 Personentage Aufwand wird dagegen kaum ein nennenswerter Vorteil durch die Beauftragung eines renommierten Systemhauses entstehen können. Das liegt daran, dass i.d.R. auch in einer großen Firma nur eine Person für die konkreten Entwicklungsarbeiten abgestellt wird, um die Projektkosten in einem vernünftigen und wettbewerbsfähigen Rahmen zu halten. Und diese ist natürlich nicht weniger von Unfällen, Erkrankungen und Tod bedroht als Solo-Entwickler:innen. Hier kommt sogar noch die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Abteilungs- bzw. Jobwechsels hinzu. Auch die Tatsache, dass eine Softwarefirma das finanzielle Risiko für den Ausfall und ggf. Wechsel und Einarbeitung von Projektmitarbeiter:innen trägt, hilft unter Zeitdruck nur bedingt weiter. Dazu kommen die oft wesentlich höheren Kosten größerer Firmen durch Bürogebäude, Fuhrpark, technische Infrastruktur, Werbung, Repräsentation, Vorfinanzierung und Versicherungen.

Bei Geschäftssoftware mit strategischer Bedeutung für den operativen Betrieb oder die zukünftige Entwicklung eines größeren Unternehmens gilt selbstverständlich auch: Das Know-How muss auf mehrere Köpfe verteilt werden, damit ein plötzlicher Ausfall nicht zur Katastrophe führt. Solche Anwendungen darf niemand im Alleingang entwickeln, das wäre verantwortungslos.

So sind Sie auf der sicheren Seite

Durch gute Codequalität, Dokumentation und Kommunikation lässt sich sicherstellen, dass auch Projekte mit überwiegend allein arbeitenden Softwareentwickler:innen über viele Jahre hinweg gewartet und weiterentwickelt werden können. Legen Sie schriftlich fest, dass der entwickelte Quellcode entweder Ihnen als Auftraggeber:in gehört oder aber für den Fall des Falles für Sie zugänglich bei einem Notar o.ä. hinterlegt ist. Gestalten Sie Verträge mit Ihren Software-Dienstleister:innen möglichst so, dass die Arbeitszeit nicht zum Festpreis, sondern nach Aufwand verrechnet wird, damit gar nicht erst ein Anreiz für die Vernachlässigung wichtiger Dokumentationen entsteht. Bestehen Sie darauf, dass nicht nur eine Benutzerdokumentation, sondern auch eine Systemdokumentation erstellt wird und lassen Sie sich diese und den dokumentierten Quellcode zeigen und erläutern. Auch wenn Sie selbst keine Entwicklungserfahrung haben, sollten Sie die grundlegenden Abläufe und Komponenten kennen, aus denen Ihr Produkt entsteht. Sprechen Sie regelmäßig und häufig mit den beauftragten Entwickler:innnen und lassen Sie sich Fortschritte und Hemmnisse erläutern. Arbeiten Sie nur mit Entwickler:innen zusammen, die sich verständlich ausdrücken können und Ihnen gerne alles zeigen und erklären. Ob große Softwarefirma oder „Einzelkämpfer:in“: Suchen Sie sich Partner:innen, die sich wirklich für Sie und Ihre Firma interessieren und gerne kommunizieren. Dann wird alles gut 🙂

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